Die Landschaftsversammlung des LWL hat in der Sitzung am 20.12.2022 die nachfolgend aufgeführte Resolution beschlossen und die Kommunen gebeten, sich der Resolution anzuschließen.
Daher bitten die SPD-Ratsfraktion und die Fraktionen B90/Die Grünen und Die Linke+ um folgenden Beschluss:
- Der Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit der Stadt Dortmund schließt sich der Resolution des LWL an und fordert das Land NRW und den Bund auf, sich an einer aufgabenadäquaten Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Teilhabe für alle durch Inklusion zu beteiligen.
Resolution: Teilhabe für alle durch Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und erfordert eine aufgabenadäquate Finanzausstattung der Träger der Eingliederungshilfe
Teilhabe für alle durch Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dies wurde auch vor dem Hintergrund der im Jahre 2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), welche neue Staatsziele für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen verbindlich gemacht hat, ausdrücklich anerkannt. Das Bundeskabinett hat hierzu am 28. Juni 2016 die zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans zur UN-Behindertenrechtskonvention (NAP 2.0) verabschiedet. Der NAP 2.0 enthält 175 Maßnahmen in 13 Handlungsfeldern. Hierzu gehören Rechtssetzungsvorhaben, wie das Bundesteilhabegesetz sowie Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (u. a. das Budget für Arbeit). Ein Großteil der beschlossenen Maßnahmen wird von den Kommunen umgesetzt.
Bundesweit sind die Bruttoausgaben in der Eingliederungshilfe vom Jahr 1981 mit rd. 1,6 Mrd. EUR auf rd. 22 Mrd. EUR in 2021 dynamisch angestiegen. Für die kommunale Familie in NRW stellen die dynamisch steigenden Kosten in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen eine große Herausforderung dar. Auf den LWL als Träger der Eingliederungshilfe entfallen im Jahr 2023 rd. 3,1 Mrd. EUR. Der Großteil der Aufwendungen wird dabei über die Umlagen seiner Mitgliedskörperschaften finanziert. Die Kosten der Eingliederungshilfe belasten somit die gesamte kommunale Familie überproportional. Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Inklusion bedarf einer gesamtgesellschaftlichen adäquaten Finanzierung.
Die Lebenserwartung der Menschen mit wesentlichen Behinderungen steigt glücklicherweise deutlich an. Dadurch ist Eingliederungshilfe für immer längere Zeiträume erforderlich. Insbesondere die Lebenserwartung der Menschen mit geistiger Behinderung nähert sich der allgemeinen Lebenserwartung an. Darüber hinaus steigt die Zahl der Menschen, die mit wesentlichen Behinderungen geboren werden ständig an. Diese Entwicklung lässt sich unter anderem auch in der amtlichen Schülerstatistik des MSB sowie in der Schwerbehindertenstatistik ablesen. Mit dem Alter nehmen die Hilfebedarfe der Personen mit Behinderung auch im pflegerischen Bereich deutlich zu. Anders als bei Menschen mit normaler Erwerbsbiografie sind diese Bedarfe sogar besonders hoch, weil besondere Kommunikation erforderlich ist. Auch die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen nimmt seit Jahren stark zu. Dies lässt sich an der Vielzahl der Krankenkassenreporte zum Anstieg der psychischen Erkrankungen deutlich ablesen. Bei Chronifizierung fallen diese Menschen ebenfalls in den Leistungsbereich der Träger der Eingliederungshilfe.
Über 80 % der Kosten der Eingliederungshilfe basieren auf den Personalkosten der Leistungsanbieter. Die Personalkosten in diesem Bereich entwickeln sich besonders dynamisch. Für das Jahr 2023 entsteht ein Mehrbedarf von insgesamt rd. 195,5 Mio. EUR, das sind rd. 6,5 % des Haushaltsvolumens des LWL. Insbesondere die Umsetzung des SuE-Tarifvertrages für Betreuungskräfte in Pflege und Behinderteneinrichtungen, bedingt eine Steigerung im LWL-Haushalt um 81,3 Mio. EUR. Für die Tarifentwicklung gibt es kaum Steuerungsmöglichkeiten. Die Anbieter der Eingliederungshilfe haben in NRW eine sehr hohe Tarifbindung. Die tarifliche Vergütung darf der LWL gem. §§ 38 Abs. 2, 124 Abs. 1 Satz 6 SGB IX nicht als unwirtschaftlich ablehnen.
Aus den Ausführungen wird deutlich, dass immer mehr Menschen mit teilweise zusätzlichen Pflegebedarfen von den Landschaftsverbänden als Träger der Eingliederungshilfe versorgt werden. Die hierfür notwendigen Fachkräfte müssen gefunden und tarifgerecht bezahlt werden, um die Versorgung weiterhin zu gewährleisten.
Daher sind das Land NRW und der Bund besonders gefordert, um nachhaltige Lösungen zur Beteiligung an den Kosten der Eingliederungshilfe zu finden und die Kommunen zu entlasten. Insbesondere folgende Punkte sind besonders wichtig, um die Handlungsfähigkeit der kommunalen Familie weiterhin aufrecht zu erhalten:
1. Verbundsatz im Gemeindefinanzierungsgesetz auskömmlich anheben und den vollen Konnexitätsausgleich für das AG-BTHG gewährleisten
Die Kommunen in NRW stehen vor großen Herausforderungen. Dies gilt für die Städte und Gemeinden ebenso wie für die umlagefinanzierten Kreise und Landschaftsverbände, die vielfach nicht umhinkommen, ihre Mitglieder mit steigenden Umlagezahlungen zu belasten. Allein für die beiden Landschaftsverbände werden für das Haushaltsjahr 2023 mehr als 6,2 Mrd. EUR als Aufwand für die gesamten Eingliederungshilfeleistungen anfallen. Es zeichnen sich sowohl im Bereich der Fallkosten als auch im Rahmen der Fallzahlentwicklung weitere beträchtliche Steigerungen ab.
Die passgenauere Angebotssteuerung für Menschen mit Behinderungen führt zwar zu rückläufigen Fallzahlanstiegen u.a. im Bereich der Werkstatt-Beschäftigten und bei den besonderen Wohnformen, dennoch steigen mit der gesetzlichen Einführung des Bundesteilhabegesetzes und des diesbezüglichen Ausführungsgesetzes seit 2020 die Fallzahlen in den weiteren Leistungsbereichen (z.B. im ehemals ambulant betreuten Wohnen) erheblich an. Aufgrund der Personalintensität der von den Landschaftsverbänden getragenen sozialen Leistungen haben Tarifsteigerungen – zuletzt des Tarifvertrages für den Sozial- und Erziehungsdienst (TVöD-SuE) erhebliche Auswirkungen auf die Fallkosten. Hinzu kommen die inflationsbedingte Steigerung der Sachkosten und steigende Hilfebedarfe von Leistungsempfängern und Leistungsempfängerinnen aufgrund zunehmenden Alters und des Bedarfs an besonderen, individuellen Leistungen.
Zur Entlastung der kommunalen Familie soll das Land NRW schrittweise den Verbundsatz im Gemeindefinanzierungsgesetz auskömmlich anheben. Eine Erhöhung um einen Prozentpunkt auf 24 Prozent würde im Jahr 2023 zu einer kommunalen Entlastung von rund 652 Mio. EUR führen.
Die Übernahme der Aufgaben von neuen Leistungsgesetzen sollte nur unter strenger Einhaltung der Konnexitätsregeln erfolgen. Daher wird das Land NRW aufgefordert, den vollen Konnexitätsausgleich für das AG-BTHG zu gewährleisten.
2. Aufstockung und Dynamisierung der 5 Mrd. EUR Bundesentlastung
Am 24. Juni 2012 haben sich Bund und Länder zur innerstaatlichen Umsetzung der Vorgaben des Fiskalvertrages geeinigt. Dabei bestand zwischen Bund und Ländern Einigkeit, dass die kommunalen Finanzen bei der Einhaltung des Fiskalpaktes eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere die Leistungen der Eingliederungshilfe sind hier von zentraler Bedeutung. Der Bund hat sich im Koalitionsvertrag 2013 dazu bekannt, die Kommunen im Umfang von 5 Mrd. EUR jährlich zu entlasten. Nach langen Verhandlungen wurden mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen die Entlastungswege über die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft, dem kommunalen Umsatzsteueranteil sowie dem Länderanteil an der Umsatzsteuer beschlossen. Die gewährte Entlastung von 5 Mrd. EUR durch den Bund entsprach der damaligen Forderung nach einer 1/3-Beteiligung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Finanzierung, der sich Bund, Länder und Kommunen stellen. Die Bundesentlastung ist jedoch statisch und wächst nicht dynamisch mit den Fallzahl- und Fallkostenanstiegen in der Eingliederungshilfe. Während der Kosten in der Eingliederungshilfe zum Zeitpunkt des Beschlusses bei rd. 15 Mrd. EUR lagen, sind diese auf rd. 22 Mrd. EUR in 2021 gestiegen. Mittlerweile müsste die Bundesbeteiligung demnach bei rd. 7,3 Mrd. EUR liegen. Dies würde für die kommunale Familie in Westfalen-Lippe Entlastung i.H.v. rd. 230 Mio. EUR bedeuten.
Eine dynamische 1/3-Beteiligung des Bundes ist daher dringend geboten.
3. Reformierung des Regelungskomplexes § 43a SGB XI
In der Pflegeversicherung gilt eine umfassende Versicherungspflicht für alle gesetzlich und privat Versicherten. Menschen mit Behinderungen sind wie Menschen ohne Behinderungen in der Regel in der Pflegeversicherung versichert und zahlen Beiträge. Die Beiträge der Pflegeversicherung werden bei Menschen mit und ohne Behinderung, die Grundsicherung erhalten, vom örtlichen Träger (Kreise und kreisfreie Städte) übernommen. Für Menschen mit Behinderungen gibt es allerdings eine gesetzliche Sonderregelung. Leben sie in einer eigenen Wohnung oder bei Angehörigen, erhalten sie die Leistungen der ambulanten Pflege. Leben sie in einer stationären Einrichtung der Pflegeversicherung erhalten sie ebenfalls die vollen Leistungen. Leben sie dagegen in einer besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe, erhalten sie statt der vollen Pflegeleistungen nach § 43a SGB XI nur einen gedeckelten Höchstbetrag von bis zu 266 EUR monatlich. Dies stellt eine erhebliche Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen in besonderen Wohnformen dar, weil ihnen die üblichen Leistungen der Pflegeversicherung bei ambulanter bzw. stationärer Pflege vorenthalten werden. Menschen mit Behinderung müssen unabhängig von ihrem Aufenthaltsort einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung haben.
Eine der wesentlichen Neuerungen des BTHG ist die Personenzentrierung der Leistungen, d. h., die Leistungen der Eingliederungshilfe sollen sich nur am Bedarf der Personen ausrichten und nicht mehr an dem Ort, an dem die Leistung erbracht wird. Die Regelung des § 43a SGB XI ist mit dieser Regelung nicht mehr zu vereinbaren. Ein Gutachten im Auftrag des LWV Hessen hat bereits die Verfassungswidrigkeit von § 43a SGB XI dargelegt, da diese gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt.
Nach aktuellen Daten des Bundesministeriums für Gesundheit leben rund 141.000 Menschen mit Behinderungen mit mindestens Pflegegrad 2 in besonderen Wohnformen und erhalten Eingliederungshilfeleistungen. Sofern anstelle § 43a SGB XI die sonst üblichen Pflegesachleistungen für Pflegedienste in Anspruch genommen werden können, beliefen sich die Mehrkosten auf rund 1,5 Mrd. EUR. Die genannten Beträge beziehen sich jeweils auf das Bundesgebiet. Nach einer Faustformel entfallen davon 10 % auf Westfalen-Lippe. Für den LWL als Träger der Eingliederungshilfe würde dies eine Entlastung von rd. 150 Mio. EUR bedeuten.
Der § 43a SGB XI muss deshalb so reformiert werden, dass pflegebedürftige und -versicherte Menschen mit Behinderungen, die in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, mit anderen (Pflege)-Versicherten gleichbehandelt werden.