– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,
eine Haushaltsdebatte unter Demokrat*innen ist geprägt von verschiedenen Meinungen, Standpunkten, verschiedenen politischen Ansichten und Ideen, wie wir Akzente setzen wollen, um unsere Stadt zu gestalten.
Der Blick zurück, die Beschreibung der Gegenwart und dann ein optimistischer Blick in die Zukunft. Der Schlagabtausch, die versöhnlichen Worte, das was uns trennt, das, was uns eint – so sollte eine Haushaltsdebatte, so sollte eine Haushaltsrede sein.
In diesem Jahr fällt mir das schwer.
Viele Menschen, mit denen ich spreche, sind momentan ratlos, resigniert, teilweise ohne Hoffnung. Die Fragen in dieser Zeit sind nicht mehr die gleichen wie früher.
- Es geht am Küchentisch in den Familien unserer Stadt nicht mehr um die Mathenoten der Kinder, sondern darum, ob es an der Schule noch genug Lehrer*innen gibt, dass der Matheunterricht nicht schon wieder wochenlang ausfallen muss.
- Beim Blick auf das eigene Bankkonto geht es bei vielen Menschen nicht mehr darum, was sie kaufen wollen, sondern darum, ob sie es überhaupt noch kaufen können.
- Es geht in vielen Unternehmen in unserer Stadt nicht mehr darum, ob sie Stellen schaffen, sondern darum, wie zahlreiche Stellen überhaupt mit Fach- und Arbeitskräften besetzt werden können.
- Es geht nicht mehr allein darum, ob wir die Kreuzkröte retten können, sondern darum, ob wir Maßnahmen treffen, um das rasante Artensterben aufzuhalten.
Klimakrise, die Nachwirkungen von Corona, Bildungskrise, Wirtschaftskrise, Inflation und gestiegene Preise, dazu die (Un-)Sicherheitslage in der Welt mit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, ein Erdbeben in der Türkei, der Terroranschlag in Israel und die Lage im Nahen Osten ……
Es fällt mir in dieser Zeit schwer, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und den Menschen in Dortmund zu erklären, dass alles gut wird. Weil so einfach ist es nicht.
Die letzten Jahre sind geprägt von multiplen Krisen und zahlreichen Veränderungen, die auch persönliche Einschnitte bedeuten, von großen existenziellen Fragen und schwierigen Entscheidungen. Wir haben uns daran gewöhnt und gelernt, uns mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen zufriedenzugeben, gewöhnt und gelernt, Recht zu haben – oder besser: Recht haben zu wollen, als einander verstehen zu wollen und auf Augenhöhe zu streiten, für einen gemeinsam getragenen Kompromiss.
Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen – bedingungslos den Kompromiss zu suchen. Wie das geht, das haben die Beratungen zum Haushalt 2024 gezeigt. Wir verabschieden heute in großer Geschlossenheit und ohne Rechtspopulisten und Rechtsradikale einen Haushalt, in dem sich die meisten Fraktionen mit ihren politischen Schwerpunkten wiederfinden können.
Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, das ist kein Ausdruck von Beliebigkeit. Das ist ein Ausdruck von Verantwortung von Demokrat*innen in schwierigen Zeiten.
Wie ist das eigentlich gekommen, dass wir uns in so vielen Fragen missverstehen?
Wir missverstehen uns nicht zufällig, nein, sondern unter dem schleichenden, aber beständigen Einfluss von radikalen Kräften, die Spaltung, Empörung und Populismus normalisieren, Lügen und Fake News als vermeintlich bequemere Alternative präsentieren und Schuldzuweisungen statt Lösungen anbieten.
Auch hier im Rat.
Doch die lauteste Meinung hat oft nicht die leiseste Ahnung: Populistische Erzählungen gedeihen gerade dann am besten, wenn wir zugucken und zulassen, resignieren, Verantwortung nicht wahrnehmen.
Schauen wir uns kurz an, was passieren würde, wenn Rechtspopulisten und Rechtsradikale eine Mehrheit hätten. Schauen wir uns an, was es bedeuten würde, wenn die AfD mit ihren Haushalts-Anträgen in Dortmund Verantwortung trägen würde.
Wir haben es heute bereits gehört:
- Weil die AfD den Klimawandel nicht versteht und leugnet, sollen Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgeanpassung im Haushaltsplan gestrichen, und somit nicht umgesetzt werden.
- Und weil man sie nach ihren umgesetzten Deportationsplänen nicht mehr braucht, sollen Integrations- und Inklusionsmaßnahmen nach dem Willen der AfD gestrichen werden.
- Man hat in der AfD richtig was gegen die IGA, will die Gelder für Kultur und das Theater zusammenstreichen, denn das seien ja nur „Lustprojekte“.
- Im sozialpolitischen Bereich hat man es auf die freie Wohlfahrtspflege abgesehen und möchte jede Menge notwendiger Stellen streichen – egal ob für Schulpsychologie, Schulbegleitung oder Schüler*innenbeförderung.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich haben wir ALLE im demokratischen Konsens ALL diese Anträge abgelehnt – sie sind unsozial, sie sind ausgrenzend, sie sind gegen
Vielfalt, sie sind gegen Dortmund.
Wer nicht versteht, dass Çay und Baklava genauso zu dieser Stadt gehören wie das Feierabendbier an der Hafenkante, sollte für diese Stadt ganz bestimmt keine Verantwortung tragen.
Und es wird Zeit, dass wir die AfD darüber hinaus an allen weiteren Stellen demaskieren.
- Sie inszenieren sich als Partei des kleinen Bürgers, (bestimmt nicht der Bürgerin, stimmt’s Männer?) und stehen doch für die Umverteilung von unten nach oben. Sie setzen auf Entlastung durch Steuerpolitik, was sich vor allem für obere Einkommensschichten lohnt. Und hetzen gleichzeitig gegen Empfänger*innen von Bürgergeld.
- Sie inszenieren sich als bürgerlich, mischen dabei aber absichtlich rechte Narrative unter ihre Aussagen- durch ihre Hetze, dadurch dass sie den Kontext verdrehen, falsch darstellen und Feindbilder präsentieren, versuchen Sie Macht zu gewinnen – für mich als GRÜNE Frau erhöht sich die Bedrohungslage.
- Und sie inszenieren sich als Partei der großen schweigenden Mehrheit – doch welche Mehrheit soll das sein? Überall gehen Menschen auf die Straße. Gegen diese rechte Gefahr. Gegen diese Fraktion: 30.000 Menschen in Dortmund, 250.000 in Berlin, 35.000 in Hannover, 250.000 in München, 100.000 in Hamburg (ich könnte ewig so weitermachen). Sie alle gehen auf die Straße, um für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt und gegen Hass, Hetze und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einzustehen.
Auf den Punkt gebracht: Sie gehen auf die Straße gegen Sie als AfD!
Was uns als Demokrat*innen zusammenhält, sind Menschenrechte. Die Würde des Menschen ist unantastbar, alle Menschen sind frei und gleich an Rechten – Das sind demokratische Grundsätze, die nicht in Frage gestellt werden. Und sie sind wesentlich für unsere Demokratie und unsere Politik.
Und anders als die AfD, die die Ursachen von Problemen verschweigt und keinerlei Lösungen bereithält, machen wir eine Politik, die Lösungen anbietet, die Antworten bereithält für die Probleme dieser Zeit.
Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,
wir GRÜNE haben gemeinsam mit unserem Projektpartner, der CDU, in den Haushaltsberatungen bewusst das Einende in den Vordergrund gestellt. Wir haben unserem Haushaltsantrag deshalb den Titel gegeben:
“In schwierigen Zeiten zusammenhalten”
Denn für uns ist klar, dass wir – nicht nur, aber ganz besonders – in Krisenzeiten als Stadtgesellschaft zusammenhalten. Für uns steht jetzt mehr denn je NICHT das, was uns trennt im Vordergrund – sondern das, was uns eint. Dabei geht es uns vor allem um die Menschen in unserer Stadt.
Fangen wie bei den Kleinsten an:
- Die Anzahl der Schulen mit einem hohen Sozialindex hat sich dramatisch erhöht. Hier gibt es eine große Zahl von Kindern aus einkommensschwachen Familien, mit Sprachschwierigkeiten und oft unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.
Wir werden diese Schulen gezielt unterstützen und mit dem Modellprojekt der systemischen Klassenhelfer*innen eine zusätzliche Form der Schulbegleitung einführen, die allen Schüler*innen und letztendlich auch den Lehrer*innen zugutekommt. Damit werden wir den Einstieg und die Eingliederung in das Schulsystem für viele Schüler*innen der ersten Klasse verbessern.
Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,
das ist für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit, für den wir in den kommenden drei Jahren zwei Millionen Euro zur Verfügung stellen werden.
- Steigende Mieten, mehr und mehr Wohnungslose und ein Hilfesystem, das von vielen Hilfsbedürftigen nicht mehr angenommen wird. Es braucht ein Update der Wohnungshilfe für Bedürftige. Analog des Nationalen Aktionsplans werden wir nun auch für Dortmund einen Aktionsplan zur Überwindung der Obdachlosigkeit erarbeiten. Außerdem unterstützen wir das Gesundheitshaus des Gasthauses mit über 340.000 im Jahr. Das, liebe Kolleg*innen, ist unsere Vorstellung von konkreter Solidarität mit den Schwächsten in unserer Stadt.
- Seit Jahren wird im Photovoltaikausbau das größte Potenzial verschenkt. Das werden wir ändern und mehr Tempo beim Ausbau machen – durch leistungsstärkere Anlagen auf mehr Dächern städtischer Gebäude. Deshalb setzen wir das ambitionierte Ziel von 1,5 Megawatt mehr pro Jahr: Eine unerlässliche Maßnahme, um den steigenden Bedarf an grünem Strom in der Stadt zu decken.
- Zudem werden wir zahlreiche Initiativen stärken, die sich für kulturelle Vielfalt und unsere Demokratie einsetzen, zum Beispiel das Welthaus mit 140.000 Euro, Romano Than mit 60.000 Euro oder den Speicher 100 mit 170.000 Euro.
- Und wir unterstützen das Klinikum, unser Klinikum, das Klinikum der Bürger*innen unserer Stadt, als Haus der Maximalversorgung, indem wir endlich den Investitionsstau lösen – mit mehr als 40 Mio. Euro für dringende Infrastrukturausgaben wie zum Beispiel die Kinderklinik.
Das alles machen wir auf der Grundlage einer schwierigen Haushaltslage. In der Projektpartnerschaft von Grünen und CDU waren wir uns einig, dass wir einerseits gestalten, gleichzeitig aber den Haushalt nicht ausweiten wollen.
Das haben wir geschafft, indem wir für unsere Anträge als Kompensation vorgeschlagen haben, die veranschlagten Einnahmen bei der Verkehrsüberwachung zu erhöhen, Restmittel des Programms neue Stärke zu nutzen und Mittel aus der unterjährigen Bewirtschaftung des Personalkostenbudgets abzuschöpfen. Das hat in den Beratungen im Finanzausschuss dazu geführt, dass dieses Vorgehen nicht nur eine breite politische Mehrheit gefunden, sondern der Kämmerer unterm Strich sogar noch eine Mehreinnahme berechnet hat.
An dieser Stelle dann auch von uns ein Dank an die Verwaltung, insbesondere an die Mitarbeitenden in der Kämmerei für die kooperative und gute Zusammenarbeit und für Ihre Arbeit der letzten Wochen und Monate bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs.
Und das in einer Situation, in der wir es gemeinsam nur unter großen Schwierigkeiten schaffen, den Haushalt zu sichern:
Es kann nicht sein, dass auf Landes- und Bundesebene Rechtsansprüche formuliert werden, ohne dafür die Finanzmittel in den Kommunen aufzustocken.
Es kann nicht sein, dass die Altschulden viele unserer Kommunen, besonders im Ruhrgebiet erdrücken, sodass keine notwendigen Investitionen mehr getätigt werden können.
Es kann nicht sein, dass wir hier auf kommunaler Ebene ständig das aufräumen, was an anderer Stelle nicht geleistet wird. Und da sitzen wir fast alle im selben Boot.
Deshalb geht auch in diesem Jahr unser Appell an die Landes- und Bundesregierung, endlich dafür zu sorgen, dass die kommunalen Finanzen auf sichere Füße gestellt werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort zur Projektpartnerschaft von uns GRÜNE mit der CDU sagen. Auch in diesem Jahr haben wir es geschafft, für alle unsere Haushaltsanträge eine Mehrheit zu bekommen. Die Projektpartnerschaft funktioniert damit auch im dritten Jahr ihres Bestehens. Und das tut der Stadt gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich weiß, dass das hier im Rat einigen nicht passt.
Das führt dann wahrscheinlich auch dazu, dass es unmittelbar nach den Beschlussfassungen im Finanzausschuss öffentliche Interpretationen gegeben hat, zu denen ich an dieser Stelle als GRÜNE Fraktionssprecherin etwas sagen will und muss.
Ja, es stimmt, wir haben als GRÜNE im gemeinsamen Antrag zusätzlichen Stellen des Kommunalen Ordnungsdienstes zugestimmt.
Richtig ist aber auch, dass diese zusätzlichen Stellen befristet und für die Außenbezirke bestimmt sind. Denn die Argumentation, dass man auf Dauer aufgrund der Situation in der Innenstadt dauerhaft immer mehr Stellen des KOD braucht, teilen wir nicht.
Unser GRÜNES Ziel ist eine Innenstadt, in der sich alle, die sich dort aufhalten, sicher und wohl fühlen. Mittelfristig muss es das Ziel sein, die aktuellen Probleme in der City durch Maßnahmen der Stadtgestaltung sowie durch soziale Programme so zu lösen, dass die Zahl der Mitarbeiter*innen des KOD in der Innenstadt wieder reduziert werden kann.
„In schwierigen Zeiten zusammenhalten“ bedeutet für uns GRÜNE auch, dass wir offen auf die Anträge der anderen demokratischen Fraktionen eingegangen sind.
So tragen wir natürlich den Antrag der SPD mit, die Beitragsgrenze für die Gebühren für Kitas, Tagespflege und OGS weiter anzuheben – so, wie wir es in den vergangenen Jahren bereits gemeinsam gemacht haben. Damit werden die unteren Einkommensgruppen unserer Stadt weiter entlastet. Und das sorgt damit in vielen Familien für zusätzlichen finanziellen Spielraum.
In diesem Sinne haben wir beispielsweise neben vielen anderen auch den Antrag der Fraktion LINKE Plus zur Ermäßigung des Eintritts in Bädern beziehungsweise des freien Eintritts für Kinder und Jugendliche in den Sommerferien mitgetragen.
Bei der FDP haben wir mit dem Modellvorhaben “Kurzfristige Freitickets an Schüler*innen für nicht genutzte Plätze im Theater” einen weiteren Antrag unterstützt, der die Stadt lebenswerter macht.
Die Anträge von DIE PARTEI haben uns ein wenig an übertriebenes Reisefieber erinnert – da wir sowas nur klimaneutral machen, waren wir da vorsichtshalber nicht dabei.
Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen, was wir auf allen Ebenen gerade verhandeln, ist nicht weniger als die Frage, wer wir sein wollen – und wer eben nicht. Nie wieder.
Unser Auftrag ist glasklar:
Wir müssen den Populisten ihre Lügen nehmen, indem wir aufklären und erklären.
Wir müssen den Populisten ihre Kampagnen nehmen, indem wir entschieden widersprechen. Dann haben sie nichts mehr.
Wir müssen als demokratische Kräfte ein Signal ausgeben, dass wir wissen, dass die Stunde geschlagen hat. Wir müssen als demokratische Fraktionen nicht nur die Rede und Gegenrede prüfen – sondern auch den Konsens.
Wie das gehen kann, das haben diese Haushaltsberatungen bewiesen. Und das macht die Demokratie aus.
Vielen Dank.